Die tapfere Lehrerin

 

Seit einem halben Jahr bin ich am Münchner Helene Habermann Gymnasium, ich unterrichte Kunst und mache den Jahresbericht.

Es ist wirklich anstrengend, Lehrerin zu sein. Aber auch furchtbar schön und aufregend! Zum Glück nehmen meine Schüler ihren Erziehungsauftrag an mir nicht ernst und haben mich im letzten halben Jahr fröhlich, klug und mit staunenswertem Einfallsreichtum für Ausreden unerledigter Aufgaben … äh … was wollte ich sagen? Ach ja, dass ich auf einem guten Weg bin, eine tapfere Lehrerin zu werden!

 

Viele Eltern finden künstlerische Fächer an der Schule wichtig, will aber ein Kind wirklich Künstler werden, ist die Empörung oft groß. (Keine Sorge, ist ein Kind kein Künstler, kann man keinen daraus formen, will es ein Künstler werden, wird es nichts davon abhalten).

Aber davon kann man doch nicht leben, sagen die klugen Eltern.  Mal Hand aufs Herz: Wer könnte ohne das leben?

 

Mach es wirklich: Lege deine Hand auf dein Herz und denke an die schönsten Augenblicke deines Lebens, die ganz großen (zum Beispiel als du den Menschen getroffen hast, den du noch immer liebst) und die kleinsten, stillsten (der Löwenzahn mit der Schneeflockenhaube, den Kirschmichlauflauf gestern, der so lecker war, wie damals, als …)

Was hast du da gespürt? Wofür hat dein Herz geschlagen? Ist es fast zersprungen vor Glück, nicht nur des schönen Augenblicks wegen, sondern auch, es ist nur eine Vermutung, weil eine große, ewigliche Melodie dahintersteht? Das muss sie wohl sein, die große Kunst.

 

Aber davor liegt erst einmal ein weißes Blatt Papier. Eine Idee muss gefunden, das Handwerk des Zeichnens erlernt werden. Das braucht Mut, Durchhaltevermögen und oft mehr Geduld, als man hat. Das sind Fähigkeiten, die berühmten Skills, die in jedem Beruf unabdingbar sind.

Das wichtigste Werkzeug des Künstlers ist der Papierkorb: weil eine Idee nur gut ist, wenn sie ausgeführt wird und oft genug nicht einmal dann. Scheitern gehört dazu. Es wieder probieren, vielleicht wird es wieder misslingen, aber doch schon ein wenig besser als beim letzten Mal. Auch das gilt nicht nur für die Kunst.

 

Ich bin so eine richtige Künstlerin: stolpere durchs Leben, reichlich ungeschickt, weil ich den ganzen Tag von Löwenzähnen, Schneehauben, und dem Kirsch Michel träume und es nicht erwarten kann, wieder ein neues, weißes Blatt zu füllen. Die ganze Welt kann darauf entstehen, nichts ist unmöglich. Na ja, zumindest in meinen Träumen.

Seit 10 Jahren unterrichte ich Kunst. Bisher waren es Erwachsene: freiwillig kamen sie zum Unterricht und wollten was sehen für ihr Geld. Nun sitzen 10 bis 20 Schüler*innen mit verschränkten Armen vor mir und sehen mich an: Was ist denn das für eine?

 

Ich bin die, die begeistern will, die zeigt, wie das gehen kann, wie aus einer Idee ein schönes Bild entsteht. Wie viel Spaß man daran hat, auch wenn es mal wieder, wenn es nie so wird, wie gedacht.

Macht nichts, fangen wir noch mal an! Jeden Tag wieder, mit großer Freude, mit ganzem Herzen.

 

 

Titelbild:

Selbstporträts meiner Schüler der Klassen 5-9. Auf Mini-Leinwände gemalt, im angesagten quadratischen Format. 80 Portraits sind es, sie werden in der Schule aufgehängt, eine Art analoger Instagram-Feed.

 

Die Bleistiftzeichnung unten zeigt die Synagoge am Münchner Jakobsplatz, das Schulgebäude steht rechts davon, die Zeichnung entstand in unterrichtsfreien Stunden.