Lesung bei Siloah München

 

Meinen herzlichen Dank an Susi Glas und Siloah München – es war wunderbar bei euch zu lesen!

 

 Susi sprach mich auf meiner Vernissage im Evangelischen Bildungswerk an. Ich beugte mich zu ihrem Rollstuhl hinunter, verstand sie kaum im Trubel der Menschen, sie hat eine Sprechbehinderung. Sie solle mir lieber schreiben, bat ich sie. 

 

In der Mail, die sie mir ein paar Tage später schrieb, bat sie mich, in ihrem Begegnungsladen in Milbertshofen zu lesen. Honorar könne diese soziale Einrichtung nicht zahlen und es würden vermutlich nicht viele Gäste kommen, aber sie würde sich sehr freuen, denn mein Buch habe sie beeindruckt. 

 

Ich sagte zu, ein paar Mails gingen hin und her, bis wir einen gemeinsamen Termin im Oktober fanden. Dann hörte ich monatelang nichts von ihr. 

 

Im September schrieb ich ihr, sie solle mir doch bitte mitteilen, wo und zu welcher Uhrzeit die Lesung stattfinde. Keine Antwort. Eine Woche später hakte ich nach, wieder ließ sie nichts von sich hören. Zwei Tage vor der angedachten Lesung, sagte ich ab. Es tut mir leid, aber so kann ich nicht arbeiten, schrieb ich ihr. Gleich darauf klingelte mein Telefon. 

 

Susi war dran, ich hielt die Luft an, zum einem, damit mein Atem ihre abgehackten Worte nicht übertönte, zum andern, weil ich über ihren Mut staunte, zu telefonieren. Das würde ich mich nicht trauen, sagte ich zu ihr. 

 

Sie erzählte, dass sie oft schlechte Erfahrungen am Telefon machte. Einmal habe einer zu ihr gesagt, schlaf erstmal deinen Rausch aus, und gleich wieder aufgelegt. 

 

Susi sagte, es tue ihr leid, sie habe mir geschrieben, aber irgendwas war mit dem Computer … ich verstand nicht, was … und ob ich nicht doch kommen wollte, sie würde sich so freuen und es gäbe bereits einige Voranmeldungen. 

 

Gut, antwortete ich, aber ich habe keine Adresse, sie solle mir doch bitte schreiben. 

Nein, lieber nicht schreiben, sonst gehe das wieder schief mit dem Computer, sie sage mir die Adresse lieber gleich hier am Telefon. 

O weh, dachte ich und kramte einen Stift heraus. Wieder hielt ich den Atem an, als sie begann, Straße, Hausnummer und Uhrzeit zu nennen. Buchstabe für Buchstabe wiederholte ich laut, sie korrigierte mich, bis alles richtig auf meinem Zettel stand. 

 

Am Abend der Lesung komme ich eine Stunde vorher im Begegnungsladen an. Susi begrüßt mich herzlich, ich verstehe sie schon viel besser, weil ich alle Nebentätigkeiten einstelle, nicht an der Jackentasche nestle oder in meiner Handtasche herumkrame. Ich bleibe ruhig stehen und sehe sie an, so kann ich auch von ihren Lippen mitlesen. 

 

Ich gehe noch einmal raus, bisschen Lesen üben. Auf der Straße blättere ich in meinem Buch mit den nummerierten Einlegern und lese die Randbemerkungen, die ich bei der letzten Veranstaltung hinzugefügt hatte. Ich denke an Susi, wie sie eben gesprochen hat, Wort für Wort mühsam herausgepresst, ohne Füllworte, ohne Ausschweifungen, die bei uns allen doch nur die eigenen Unsicherheiten verwischen sollen. Jedes ihrer Worte hat Sinn, für Eitelkeiten fehlt ihr die Kraft beim Sprechen. Erst denken, dann schreiben, das kann man uns Autoren ja nicht oft genug sagen. 

 

Mein Buch liegt in meinen Händen und auf einmal kommt es mir dumm vor. Ich schäme mich, es geschrieben zu haben. Doofes Lampenfieber.

Um meine Stimme aufzuwärmen, sage ich laut: Ich gehe jetzt da rein und werde ordentlich lesen.

 

Die Gäste sitzen bereits auf ihren Plätzen und ich bin froh, dass es nicht so viele sind. Susi moderiert mich an – sie macht das höchst professionell – und ich beginne zu lesen. 

 

Ich lese zu hastig und verspreche mich, als eine Kamera aufblitzt. Noch immer zittert mein Buch in den Händen, mir ist ein wenig schlecht, doch bald wird das Lesen leichter. 

 

Die erste Geschichte ist zu Ende, Susi sagt, sie war wunderschön, und sie möchte sich entschuldigen, dass nicht so viele Leute gekommen sind. 

Das macht gar nichts, sage ich, beim Schreiben denke ich auch immer nur an eine bestimmte Person und stelle mir vor, dass sie es einmal lesen wird. Vielleicht werden wir uns später nur noch an diejenigen erinnern, denen wir wirklich begegnet sind, sage ich und möchte mir an die Stirn hauen: Was hamma im 1. Semester gelernt? Kill your darlings! Aber zu spät.

 

Ich lese weiter. Ruhiger jetzt, weiß ich doch, dass ich eine schöne Stimme habe und mein bayerischer Akzent meine Texte auf eine weiche Melodie legt.

Dann passiert etwas sehr Schönes: Meine Gedanken werden meinen Worten gleich und ich fühle wieder das, was ich beim Schreiben fühlte. 

 

Nur einmal komme ich nochmal raus, als eine Frau aufschluchzt. Das ist mir unangenehm, aber das muss ich wohl aushalten und warte einfach mit dem Weiterlesen, bis sie sich beruhigt hat. 

Spontan entscheide ich mich für andere Geschichten aus dem Buch, leichtere, heitere. Sofern das möglich ist, es geht ja um obdachlose Menschen, und jedes dieser Leben ist eine Tragödie. 

Dann lese ich nicht mehr, weil einige Gäste Fragen stellen und mir sehr Persönliches aus ihren Leben erzählen. 

 

Am Ende signiere ich ein paar Bücher, ein Blumenstrauß und eine Flasche Wein werden mir überreicht, Susi bedankt sich für die schöne Lesung und ich fürs Zuhören. Wieder blitzen Handykameras und ich sage zu Susi: Komm, roll rüber, ich will auch ein Foto von uns beiden! 

 

Meinen herzlichen Dank an Susi Glas und Siloah München – es war wunderbar bei euch zu lesen! 

Sabine Roidl 

#sabineroidl